Oftmals betrete ich alte und verlassene Gebäude und Wehmut stellt sich ein. Ich sehe verstaubte und verlassene Räume, Müll liegt herum, Farbe blättert von den Wänden. Unter dem Verfall strahlt die einstige Schönheit der Gebäude aber noch hindurch, kräftig und hell…und auch dieses Mal stellte sich dieses altbekannte Gefühl wieder ein. Unser Ziel lag in Sachsen und zu Recht muss das einstige Schwimmbad einmal als Vorreiter gegolten haben….
Ohne Wasser wirkt das blaue Loch recht tief….
Das erste Wow entfleuchte mir bereits beim Betreten der einstigen Frauenschwimmhalle. Was für ein Motiv! Im Jahr 1916 ging das Bad in Betrieb und es galt eine strikte Trennung zwischen Frauen und Männern. Zwar verschaffte die etwas größere Schwimmhalle den Männern einen kleinen Vorteil, aber die im maurischen Stil gehaltene Sauna der Frauen glich diesen Umstand mehr als aus. Aber dazu später mehr. Zunächst einmal verlieben wir uns in den leeren Pool der Frauenschwimmhalle. Immer noch prunkvoll wirkt diese Location, wir können beinahe das Plätschern des Wassers noch hören. Tief unter uns sitzt bereits ein Tourkollege mit einer 360 Grad Kamera. Bei einer ehemaligen Wassertiefe von 2,75 Metern wage ich mich nicht zu nah an den Rand heran und baue erst einmal mein Stativ auf – in sicherer Entfernung. So ohne Wasser wirkt das blaue Loch doch ganz schön tief.

Sofort habe ich ein Bein meines Equipments in der Hand und fluche. Auf wackeligen Beinen entstehen die ersten Bilder und ich entdecke immer mehr prunkvolle Details. Die Frauenschwimmhalle erstreckt sich über zwei Stockwerke und wuchtige Säulen, Figuren und liebevoll gestaltete Kleinigkeiten runden das Bild ab. In der Ecke hinter uns liegt noch eine alte Wasserrutsche, die Zeit scheint hier stehen geblieben. Wegen baulicher Mängel musste die Stadt im Jahr 2004 den Badebetrieb einstellen. Die Herrenschwimmhalle verfügte bereits in frühen Jahren über ein 3-Meter-Brett und über die erste Wellenanlage in ganz Europa – heute liegen Bretter über dem alten Schwimmbecken, welches so noch für Veranstaltungen genutzt wird. Wir sparen uns also die Herrenschwimmhalle und pilgern weiter ins Obergeschoss. Als ich mein Stativ einklappen möchte, habe ich das Bein erneut in der Hand. Andreas läuft schon einmal vor – ich verpacke meine Einzelteile und laufe hinterher.


Auf der Galerie ein Stockwerk höher entfaltet sich erst die wahre Pracht der Schwimmhalle. Mächtige Säulen untermauern das prunkvolle Flair der riesigen Halle. Erst in den Seitengängen hinter den ehemaligen Kabinen entdecken wir den unaufhaltsamen Verfall. Im krassen Gegensatz zur prunkvollen Halle liegt alles hier unter einen dicken Staub- und Schmutzschicht. Blätter wehen durch die teilweise offenen Fenster. Einige davon liegen wie versteinert auf den gesprungenen Fliesen. Wie schade, denke ich und wir machen uns auf den Weg in die Sauna nicht ohne das Weitwinkelobjektiv noch einmal auszureißen.
Für die Bodengruppe quetschen wir uns hinter den Pfeiler….
Auf unserem Weg durch die Gänge begegnen uns immer wieder andere Teilnehmer der Tour. Jeder mit einer anderen Ausrüstung aber alle mit demselben Ziel. Es geht nach oben und wir folgen den verblassten Schildern Richtung Sauna. Und hier entwischt mir das zweite Wow des Tages. Allein die Vorhalle übertrifft alle Erwartungen. Im islamisch-maurischen Stil erstrahlt alles in goldenem Licht und ich kann nur staunen, während unser Tour-Guide selbst an einem Foto bastelt. „Stehen wir im Weg?“ fragen wir vorsichtig. Alles gut, versichert er uns, nur für die Bodengruppe müssten wir uns kurz hinter den Pfeiler quetschen. Kein Problem. Wir erklettern erst einmal die Galerie und ich entdecke ganz neumoderne Schließsysteme. Da wir keine Mark haben, schleppen wir unsere Sachen eben quer durch die Sauna.


Andreas platziert unsere Fotokugel mutig auf dem hölzernen Geländer während ich bete, dass sie nicht herunterfällt. „Wo ist eigentlich die richtige Sauna?“ frage ich zwischen zwei Fotos. Nachdem die „Bodengruppe“ im Kasten ist, machen wir uns auf die Suche und finden die Räumlichkeiten einen Gang weiter – mir entschlüpft das dritte und letzte Wow des Tages. Auch hier setzt sich der maurische Stil weiter fort und der einst mit Leben gefüllte Ort wirkt immer noch prunkvoll und einladend. Schmutz und Verfall suchen wir hier vergeblich. Immer noch fallen helle Sonnenstrahlen durch die Fenster. Immer noch stecken die Schlüssel in den nummerierten Schränken. Immer noch warten die Duschen auf Badegäste. In dem Brunnen der 1-Klasse-Sauna liegt ein einzelnes Blatt – wie versteinert. Alles hier scheint erstarrt, angehalten, vergessen.

Über der Pracht liegt eine steinerne Schicht des Verfalls…
Heute kümmert sich eine Förderstiftung um das einstige Schwimmbad und setzt sich für eine Wiederbelebung ein. 385 Quadratmeter maß die Herrenschwimmhalle, das Bad setzte seinerzeit Maßstäbe, schreibt Klaus Staeubert in einem Zeitungsartikel der Leipziger Volkszeitung. 1,4 Millionen Reichsmark seien in den Prachtbau geflossen – und diesem Namen macht das Bad alle Ehre. Klar lässt sich die Anlehnung an die römischen Thermen erkennen. Aus allen verstaubten Ecken und Ritzen strahlt die einstige Pracht. Dennoch liegt darüber eine steinerne Schicht des Verfalls, aber nicht des Vergessens…

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