Hallo da draußen! Erinnert Ihr Euch? Im letzten Blog ging es hoch hinaus und durch eine zauberhafte Landschaft aus Eis und Schnee – heute geht es wieder auf die Straße. Auf eine ganz Besondere. Bereits zu Anfang unserer Reise kam das Gespräch bei Andreas Verwandten auf den Highway 16.
Insgesamt liegen rund 1000 Kilometer vor uns und die Begegnung mit einer Tragödie, die ganz Kanada bewegt, trifft mich bis ins Mark. Noch ahnen wir aber nichts davon. Das ausgerechnet dieses Kapitel des Reiseblogs das Dreizehnte sein soll, ist wirklich ebenfalls Zufall. Geplant hatte ich das nicht. Noch beflügelt vom Skywalk und dem Glacier Nationalpark machen wir uns auf den Weg auf einer Straße die ihren Namen auf tragische Weise wirklich zu Recht trägt. Willkommen auf dem „Highway of Tears“.
Wir packen unsere sieben Sachen, heute geht es weiter nach Fort St.James in British Columbia an den Stuart Lake. An der Dumping Station kommen wir mit einem netten Kanadier ins Gespräch, der sein Wochenende auf dem Campground verbracht hat. Er kommt aus Edmonton, nur ein paar Kilometer entfernt. Vor uns liegen 538 Kilometer mitten durchs Nichts. Mein Auge schillert in allen erdenklichen Farben und ohne Schmerztropfen geht immer noch nichts. Es geht durch drei Nationalparks, vorbei an einem malerischen verträumten See und irgendwann mitten im Wald stehen drei Wapitihirsche an der Straße. Auch wir halten an. Einer von ihnen trägt ein mächtiges Geweih, gute anderthalb Meter lang. Ein prächtiges Tier. Leider verstehen nicht alle Touristen was es heißt, den Wildtieren Raum zu lassen. Sie wollen ein Selfie, mit dem Hirsch im Hintergrund, für ein gutes Foto rücken sie viel zu nah an das Tier heran. Dem Tier missfällt das Shooting und es schwenkt seine ausladende Stirnwaffe drohend in Richtung der neugierigen Urlauber. Vorsichtshalber fahren wir weiter, den Hirsch haben wir im Kasten.

Verträumt, versteckt und wunderschön – noch befinden wir uns in einem Nationalpark
Hinter den Nationalparks geht es kilometerlang durch das Nichts. Wald gibt’s hier, ansonsten eben – nichts. Hier und da, vielleicht alle 100 Kilometer ein Haus. Oder Zwei. Maximal. Am Straßenrand taucht eine schwarze Fellkugel auf. „Langsam, langsam!“ schreie ich und habe richtig geschaut – ein Schwarzbär möchte über die Straße. Das Tier kommt uns sehr nahe und schaut mir kurz direkt in die Augen. Ein mulmiges Gefühl macht sich in mir breit. Er könnte uns etwas tun, wenn er wollte. Er besitzt weit mehr Kraft als wir, das spüre ich in diesem Moment deutlich. Der Bär ist mir vollkommen überlegen, trollt sich aber weiter. Offenbar möchte er nicht streiten, sondern nur in Ruhe weiterfressen. Eine ergreifende Begegnung, die ich so schnell nicht vergessen werde. Im nächsten Ort essen wir eine Pizza, hier setzt man offenbar auf das Motto „think big!“ Alles gerät etwas größer, die Stores, die Firmen, die Tankstellen – aber im Umkreis von 300 Kilometern gibt es keinen weiteren Ort. Wir nähern uns der „Straße der Tränen“, wissen es aber noch nicht.
Vermisst – für immer

Vermisste Mädchen statt Subway-Werbung. Der Highway of Tears schlägt mir aufs Gemüt
Schon länger fallen mir die vielen „Missing-Schilder“ am Straßenrand auf. Junge Mädchen lachen anstelle der Subway-Werbungen in die Kamera. Darunter stehen hohe Belohnungen. „Missing“ steht groß darüber. Deboarah heißt eine von ihnen. Debby. Kreuze säumen die Straße. Alle zwei, drei Kilometer ein erschreckendes Schild, alle zehn Kilometer Kreuze, alle 50 Kilometer ein paar versprengte Häuser. Nichts gibt es hier. Nur Kreuze und Schilder – und Wald. Ich erinnere mich an das Gespräch mit Andreas Verwandten am ersten Tag in Kanada. Sie sprachen von der „Straße der Tränen“, wo so viele Mädchen verschwinden. Viel Mist sei da passiert. Per Anhalter reisen die Mädchen in dieser Gegend, weil keine öffentlichen Verkehrsmittel zur Verfügung stehen. Bis heute nicht. Ureinwohner fallen den Mördern besonders oft zum Opfer. Ich frage Andi, auf welchem Highway wir fahren. „16“, antwortet er – die Straße der Tränen. Traurigkeit befällt mich. Es sind so Viele. Auf jeden Kilometer steht ein neuer Hinweis an der Straße. Maggy. Debby. Sie alle kehren nie wieder nach Hause zurück. Ich recherchiere ein bisschen und beschließe, einen gesonderten Beitrag dazu zu schreiben. Wir fahren an weiteren Missing-Meldungen vorbei, bis wir den Highway 16 schließlich verlassen in Richtung Campingplatz.

Öffentliche Verkehrsmittel gibt es hier nicht, Nachbarn nur in weiter Entfernung. Einsamkeit spricht aus jedem weiteren gefahrenen Kilometer
Der Highway of Tears spricht eine mehr als deutliche Sprache

Opfer – ihre Bilder und Ödnis säumen die Straße der Tränen
Ich möchte eine rauchen, das geht mir alles sehr nah. Warum, frage ich mich. Kann man gar nichts dagegen tun? Oder will man das nicht? Damit komme ich der Wahrheit nah, weiß aber noch nichts davon. Darf so etwas überhaupt passieren? Nein, beschließe ich – so etwas darf nirgendwo passieren. Nicht in Kanada und auch sonst nicht auf der Welt. Ich muss an die Mädchen denken, während ich auf dem einsamen Parkplatz stehe. Andreas lässt den Motor vorsichtshalber laufen. Auch hier – nichts. Gar nichts. Kreuze mit Blumen stehen im Gras. Direkt neben mir. Die wenigen Häuser, die wir vor etlichen Meilen gesehen haben, stehen größtenteils zum Verkauf. Hat man als Teenager hier überhaupt eine Chance? Der Highway of Tears spricht eine deutliche Sprache. Wir fahren weiter, kommen in Fort St. James an weiteren kleinen Häuschen vorbei. Eine Wapiti-Kuh starrt uns aus dem Gebüsch an. Auf dem Campingplatz gibt es keine Anmeldung oder irgendeinen Hinweis darauf, an wen wir uns wenden können. Aber auf dem Plan finden wir die Headquarters, also fragen wir dort. Ein indianisches Pärchen betreibt den Campground. Auch sie wurden von der Regierung hier eingesetzt und leben selbst in einem Wohnwagen. Offenbar besitzen sie wenig bis nichts. Die Straße der Tränen liegt nicht weit entfernt.
Wir richten uns ein, so gut wir können. Strom oder einen Wasseranschluss gibt es hier nicht. Der 70 Kilometer lange Lake Stuart dient als Dusche und irgendwo am Anfang des Weges liegen zwei Plumpsklos. Mücken leisten uns in großer Zahl Gesellschaft und bereits nach ein paar Minuten meinen wir, draußen etwas zu hören. Schnell löschen wir alle Lichter, aber offenbar gehen unsere Nerven mit uns durch. Diese Mischung scheint zu viel des Guten. Also schnell ins Bett, morgen geht es weiter – auf der Straße der Tränen.

Viel gibt es auf dem Campground nicht und an den Moment am Straßenrand mit einem Kreuz im Nirgendwo kann ich mich noch sehr gut erinnern. Ein totes Mädchen mehr. Das alles bewegt mich zutiefst
Die Einöde lässt einen nicht vergessen, wo man sich befindet
Am nächsten Morgen stellt sich das Duschproblem. Andreas macht es sich einfach – er springt in den See. „Refreshing“, sagt er. Na bitte, ich bibbere schon beim Zugucken. Also Katzenwäsche für mich. Noch vor zehn Uhr morgens kehren wir zurück auf den Highway 16. Zwar scheinen sich die Missing-Meldungen auf den Abstammungsort der Mädchen zu konzentrieren, aber die Einöde lässt einen trotzdem nicht vergessen, wo man sich befindet. Die vielen For Sale Schilder auch nicht. Heute liegt die längste Strecke des gesamten Urlaubs vor uns, bis Prince Rupert hoch im Norden geht unsere Route. Wir sitzen noch nicht lange im Auto als wir einen Stock sehen, der sich bewegt. „Ist das ein Tier oder ein Ast?“ fragt Andreas und der Stock entpuppt sich als Fuchs. Er knabbert an seiner „Beute“ und schaut uns an, direkt neben der Straße. Ein süßes Ding. Vor lauter Wonne vergesse ich meine Kamera zu zücken und bereue es später.

So duscht man heute – Andreas nutzt einfach den Stuart Lake
Es geht weiter auf dem Highway 16 an dem es Kilometer für Kilometer schlicht nichts gibt. Mal eine Ranch, oft For Sale. Erst am Ende des Tages und rund 600 Kilometer später verändert sich die Landschaft wieder. Zunächst aber warnt ein Riesenschild jeden, der unseren Straßenabschnitt fahren wird. Es zeigt vier der vielen Opfer. „Girls, don´t hitchhike on the Highway of Tears!“ steht da. Fahrt nicht per Anhalter. Der Highway windet sich weiter durch Farmland und Berge, es wird eine lange Fahrt und ein trauriges Kapitel unserer Reise. Diese Straße schlägt mir aufs Gemüt. Einsamkeit und Leid scheinen hier zu wohnen. Irgendwann muss ich aufs Klo und betrete ein Plumpsklo irgendwo im Niemandsland. Wegen des Gestanks gehe ich gleich wieder raus. Ein Reisender spricht mich an: „Is it too bad? Often there are too bad!“ Er grinst, ich gehe wieder rein. Bis Prince Rupert bleiben uns noch etwa 400 Kilometer, also was soll´s. Mittag gibt’s ebenfalls auf einem Parkplatz. Als wir gegen 20 Uhr endlich in Prince Rupert ankommen, reicht es auch für heute mit der Fahrerei. Auf Facebook kann ich den legendären über 5000-Kilometer-Post posten. Morgen lassen wir fahren und hoffen auf weitere tierische Begegnungen entlang der Pazifikküste.
Im nächsten Blog geht es von der Straße auf das Wasser und wieder auf eine lange Reise, die mir durch die überraschenden Umstände noch viel länger vorkam. Aber lasst Euch überraschen. Zunächst einmal gibt es wie gewohnt alle Bilder als Galerie und alle vorangegangenen Blogs als Link. Über den Highway 16 schreibe ich wie versprochen noch einen gesonderten Beitrag – dieses Thema beschäftigt mich noch immer. Auch lange, nachdem wir wieder zu Hause sind.
- Roadtrip of my Life – ein langer erster Tag (1)
- Roadtrip of my life – ein sehr bayerischer Bergort in den Staaten und 336 Meilen weiter (2)
- Roadtrip of my life – irgendwie ermüdet das endlose „Geradeaus“ dann doch (3)
- Roadtrip of my life: eine lange Etappe bis zum Yellowstone – und auch die Schönste (4)
- Roadtrip of my life: „That smells horrible!“ (5)
- Roadtrip of my life: der mit dem Wolf tanzt (6)
- Roadtrip of my life: ein schlechter Start aber Wunder über Wunder (7)
- Roadtrip of my life: ein wehmütiger Abschied (8)
- Roadtrip of my life: tierische Überraschungen bis Banff, Kanada (9)
- Roadtrip of my life: der Kicking Horse River macht seinem Namen Ehre (10)
- Roadtrip of my life: der „Rafter-Kater“, wenn das Wetter zur Stimmung passt (11)
- Roadtrip of my life: hoch hinaus – der Skywalk (12)
- Extra-Beitrag: Der Yellowstone Nationalpark – eine spektakuläre Schönheit, die etwas von einem Phönix hat
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