Hello again. Im letzten Blog haben wir die Segel frühzeitig wegen des blauen Auges streichen müssen, erinnert Ihr Euch? Dafür steht in diesem Teil ein straffer Plan auf dem Programm. Viele einzigartige Momente haben diesen Tag begleitet und ich finde, beim Betrachten der Bilder im Nachhinein kommen sie noch einmal besonders schön zum Ausdruck. Diese Momente machen jeden Ort zu etwas Besonderem und ohnehin bewegen wir uns heute auf eben nicht alltäglichem Terrain. Wir spazieren auf Flughöhe diverser Vögel, genießen die Aussicht und erkunden eine Welt aus Eis. Auf uns wartet der Glacier Nationalpark, der sich so ganz anders darstellt als alles, was wir bisher auf diesem unglaublichen Trip gesehen haben. Und auf einer Höhe von 280 Metern dürfen die Knie ruhig einmal zittern, oder nicht?
Durch die „Shooting Galerie“ in schwindelerregende Höhen
Für heute haben wir uns Einiges vorgenommen, das Auge sieht zwar böse aus, aber mir geht es etwas besser. Also geht es heute zu den Columbia Ice Fields, dem Skywalk und zu zwei Wasserfällen. Wir fahren etwa 120 Kilometer zurück in den Glacier Nationalpark, eine Distanz die uns mittlerweile nichts mehr ausmacht. Verhältnisse ändern sich, wenn man Kanada und Amerika durchkreuzt. Bülten wird uns wahrscheinlich vorkommen wie eine Weide, wenn wir wieder zu Hause sind. Angekommen beim Icefield Center, dem Startpunkt der Tour, streiten wir uns zum ersten Mal auf unseren bislang fast 5000 Kilometern. Ich fühle mich wie ein Pferd im Auktionshaus und Andreas wie zum Schlägertyp deklariert. Was hilft? Sonnenbrille auf und die gute Laune wieder herauskehren. Auf uns warten immerhin ein Gletscher und ein Skyway über einem Canyon im Sunwapta Valley. Allein das Lesen der Höhe reicht aus, um das Adrenalin in Gang zu bringen. 280 Meter über dem Sunwapta Valley ragt die Glasplattform etwa 30 Meter in den Canyon hinaus. Die Preise für unsere Tour können sich allerdings dementsprechend sehen lassen. Wir bezahlen weit über 200 Dollar für das „Adventure Pack“. Viele deutsche Familien haben sich ebenfalls auf den Weg gemacht, aber keiner spricht uns an. Ich sehe wohl zu furchterregend aus.

Der Skywalk, zwei Jumbojets hält er aus – Angst hatte ich trotzdem
Als erstes geht es also zum Skywalk. Ein gerammelt voller Bus bringt uns dorthin. „Raven“ stellt sich als unsere Fahrerin vor und erzählt uns auf unserer 15minütigen Reise ein bisschen über die Gegend, die so genannte „Shooting Galerie“. Flankiert von massiven Bergen führt die Straße durch das Tal. Tauwasser von den Gletschern friert in der Nacht und sprengt die Felsen ab. Daher rührt der Name. Auch die einzigartige Farbe der Flüsse und Bergseen bekommen wir erklärt. Feiner Abrieb der Felsen reichert das Schmelzwasser an. Bei besonders hoher Konzentration färben sich Flüsse und Seen milchig weiß. Verteilt sich der Abrieb, nimmt das Wasser eben dieses für Kanada einzigartige Türkis an. Angekommen am Skywalk verabschiedet sich „Raven“ und wir starten unsere zu Beginn harmlose Tour. Ein schmaler Weg mit Geländer führt direkt am Canyon entlang. Infotafeln lehren den Besuchern etwas über Flora und Fauna des Glacier Nationalparks und über das empfindliche Gleichgewicht zwischen Lebensräumen, Wasser, Wald, Schnee und Eis. Den eigentlichen Skywalk können wir bereits aus der Ferne sehen und ein leichtes flaues Gefühl in der Magengegend stellt sich ein. Der Canyon sieht verdammt tief aus und wir befinden uns bereits locker auf Flughöhe diverser Vögel. Auf einer Infotafel finden wir einen Vergleich zwischen Puma und Mensch. „Guck mal, Dein Kuschelkätzchen“, sagt Andi und ja, der Mensch schneidet im Vergleich zu dem Puma eher schlecht ab. Das Kätzchen ist etwa so groß wie ein Erwachsener.

Links im Bild sieht man die winzige Besucherplattform in schwindelerregender Höhe
Zitternde Knie auf dem „Wunder der Architektur“

Eine Kostprobe dessen, was auf uns zukommt
Kurz vor dem futuristisch anmutenden Bogen aus Glas und Chrom, der den Walk ausmacht, bekommen wir eine Kostprobe dessen, was auf uns zukommt. Im Viereck führt der Weg um den Abgrund herum. Wir können also direkt über das Geländer nach unten schauen. Winzig klein sieht eine Bergziege von hier oben aus. Sie erschnuppert sich in aller Ruhe ihr Fressen tief unter uns und ich frage mich, wie sie überhaupt dort hinaufgekommen ist. „Hier fällt wohl ab und an mal etwas Leckeres herunter“, meint Andi und er könnte Recht haben. Jetzt aber geht es auf den Skywalk und bereits mit dem ersten Schritt zittern mir die Knie. Unter mir Glasboden, neben mir Glasgeländer, ich habe überhaupt keine Referenzpunkte mehr. Ich laufe einfach über den Canyon, gefühlt mitten in der Luft ohne jegliche Sicherheit. „Bist du so schwer wie zwei Jumbojets?“ fragt mein Mann, soviel Gewicht hält der Skywalk nämlich aus. Das wohl nicht, auch wenn ich in letzter Zeit zugenommen habe. Mein Körper traut dem „Wunder der Architektur“ trotzdem nicht über den Weg und wir schaffen es kaum, ein Selfie zu machen.
Ein beleibter, sympathisch aussehender Mann schaut mich an. Auch er wirkt unsicher. „I know exaktly what you feel!“, sagt er. Der Arme tut sich genauso schwer wie ich. Zwei Touristen machen Liegestützte auf dem Glasboden. Verrückt, denke ich und ich will wieder hinunter. So toll der Ausblick auch wirkt und so einzigartig das Abenteuer sich auch gestaltet, mein Körper möchte dort nicht stehen. Wir schießen noch ein Bild von unseren Füßen, die Ziege schmuggelt sich ins Bild und damit verlassen wir den Skywalk wieder. Ich treffe den Mann im blauen Pullover erneut – auf festem Betonboden. „I cannot say I´m angry to get of this Thing“, sagt er und ich kann es ihm nachfühlen. Andreas macht die Höhe nichts aus und auch ich kann diesen Spaziergang garantiert nicht so schnell vergessen. Zurück am Bus schaue ich auf die Uhr. Tatsächlich bleiben uns nur noch 20 Minuten bis zu unserem nächsten Termin, dem Columbia Icefield. Der Weg im Himmel kam mir irgendwie kürzer vor. Ganze zwei Stunden haben wir mitsamt der Fahrt für den Skywalk gebraucht.
Eine Welt aus Eis, die einem nicht wegen der Kälte Gänsehaut beschert
Also schnell eine Zigarette, Andi schaut derweil nach einer Kopfbedeckung. Eis reflektiert ja bekanntlich die Sonne. Aber er kehrt erfolglos aus dem Gift-Shop zurück. „Eine einfache Kappe 48 Dollar!“ beschwert er sich und das sehen wir beide nicht ein. Noch fix etwas zu trinken und weiter geht’s auf den Gletscher.

Eine völlig andere Welt nur fünf Minuten vom Parkplatz entfernt
Wiederum fährt uns ein Bus bis zur Zwischenstation. Vor uns sitzt eine deutsche Familie und wir erfahren nebenbei, dass unsere Jungs das Spiel gegen Schweden in der WM gewonnen haben. Unsere Fahrerin erzählt uns diesmal von ihrem Gletscher-Abenteuer, bei dem sie fast abgestürzt wäre und von ihrer Heimat auf Zeit. Von Mai bis Oktober leben die Mitarbeiter des Icefield Centers hier in einem kleinen Haus – mit zweihundert Frau und Mann. „Weißt du Bescheid“, sagt Andi und wir wechseln das Fahrzeug. Ein Crawler, ein echtes Untier, bringt uns hinauf ins Eis. Allein ein Reifen kostet 5000 Dollar, ein ganzer Bus über 1 Millionen. Es geht langsam voran, der Crawler hüpft und springt bis zum steilsten Stück des Weges. Alle rutschen in ihren Sitzen nach vorn und angekommen auf dem Eisfeld bleiben uns 20 Minuten, um Fotos zu schießen und ein Geburtstagsvideo aufzunehmen. Andi und ich trinken auf das Geburtstagskind eiskaltes Gletscherwasser. Keine zehn Sekunden können wir die Hand in das eisblaue Wasser tauchen – die Kälte tut einfach weh. Apropos eisblau – die Farbe, von der jeder eine Vorstellung hat, rührt von einem hohen Sauerstoffeinschluss her. Die Fotos der unwirklichen Umgebung wirken grandios, hinter uns türmt sich das Eis, wir befinden uns im Zentrum von gleich drei Gletschern. Vor allem der Snow Dome beeindruckt mich. Jahr für Jahr gehen die Eismassen 20 Meter zurück. Eine grandiose Landschaft, geformt in Jahrtausenden so kalt und schön, dass man Gänsehaut bekommt. Noch einmal kann ich fühlen, wie viel Kraft in der Natur steckt.

Die Columbia Icefields – eine Welt so kalt und schön, das man Gänsehaut bekommt
Aber auch die Kehrseite der Medaille sehen wir hier deutlich. Auf lange Strecken liegt kein Schnee mehr auf den braungrauen Bergen. Kahl säumen sie das Columbia Icefield. Überall um uns herum muss einmal Schnee gelegen haben. Immer noch dehnt sich das Eis auf 325 Quadratkilometern aus, in einer Dicke von 100 bis 365 Metern. Jährlich fallen bis zu sieben Meter Schnee. Beeindruckende Zahlen, die dennoch nicht über das Schmelzen der kalten Giganten hinwegtäuschen können. Und hier, in einer der größten Eisansammlungen südlich des Polarkreises, sieht man die Wunde in der Natur deutlich.

Der Snow Dome – an vielen Stellen sieht man die Wunden der grandiosen Natur
Auf dem Programm steht noch mehr Natur

Wer steht, der bleibt – gar nicht so einfach
Auf dem Rückweg spielt unser Crawler-Fahrer ein lustiges Spiel. Auf dem besagten steilen Abschnitt tragen wir den Wettbewerb wer kann am längsten freihändig stehen aus? Tatsächlich geben die meisten relativ schnell auf oder landen mit einem Plumps wieder in ihrem Sitz. Uns macht die ganze Sache Spaß und ich hätte es noch länger im Eis ausgehalten. Es kommt einem so unrealistisch vor. Zwar gilt das Wetter in den Bergen eh als wechselhaft, aber wir können auf dem Parkplatz im T-Shirt herumlaufen und nur fünfzehn Minuten entfernt wartet eine ganz andere Welt. Eine Welt geformt von der stärksten Gewalt die es je gab und immer geben wird – von der Natur. Wir dagegen bleiben Winzlinge.
Und es steht noch mehr Natur auf dem Programm. Zurück am Camper sagt Andreas: „Ich wusste genau in welchem Moment du deine Sonnenbrille im Shop abgenommen hast!“ Er hat Recht, mit Schmerztropfen geht es weiter zu den Sunwapta und Atabasqhua Falls. Gerade an den Letzteren führen uns die Viewpoints die Power noch einmal vor Augen. Mit atemberaubender Geschwindigkeit donnern die Wassermassen in eine enge Schlucht. Eben für diese Kraft sind die Wasserfälle berühmt. Bis zu 500 Kubikmeter Wasser schießen pro Sekunde durch den zweigeteilten Fall. Das entspricht unserem fünffachen jährlichen Wasserverbrauch eines durchschnittlichen Haushalts. Pro Sekunde. Eigentlich unvorstellbar.
Pro Sekunde rauscht der fünffache Wasserverbrauch einer Durchschnittsfamilie durch den Wasserfall
Warntafeln erinnern nicht ohne Grund daran, warum Besucher auf den Wegen bleiben sollten. Alle paar Jahre sterben Menschen an den Wasserfällen. Das Wasser kommt vom eiskalten Gletscher, die Canyons sind tief und voller Stromschnellen. Vor allem an diesen sterben unvorsichtige Helden. Wir bleiben auf den Wegen und nehmen dort eine eiskalte Dusche nah an den Fällen. Und es gibt noch mehr Natur – Mücken hat es hier reichlich. Neben uns versucht eine türkische oder arabische Familie ein Selfie zu schießen. Allerdings müssen in diesem Fall nicht drei, sondern gleich zehn Personen oder noch mehr aufs Bild. Ausgerüstet mit einer Selfie Stange meistert die Familie das Kunststück irgendwie. Zurück am Parkplatz scheint es Zeit für das Gebet zu sein.

Athabasqua Falls – eine Dusche gab es hier gratis
Als wir auf den Campingplatz zurückkehren, herrscht dort Großalarm. Die Ranger beobachten das Flussufer, direkt vor uns muss die Grizzly-Mutter auf dem Platz aufgetaucht sein. Wir fragen die beiden und ja, sie trollt sich gerade flussabwärts. Jemand fragt, ob er wieder in sein Zelt zurückkehren darf. In den nächsten Stunden observieren die Mitarbeiter weiter den Campingplatz. Trotz all der Aufruhr bleibt die Nacht ruhig bis auf die lärmenden Nachbarn und wir starten am nächsten Morgen in aller Ruhe. Die Bärin haben wir verpasst, aber gleich am nächsten Tag soll es mehr tierische Ereignisse geben.

Auf dem Rückweg zum Campingplatz ergaben sich wundervolle Lichtspiele am Himmel – und damit geht ein weiterer grandioser Tag voller unvergesslicher Eindrücke zu Ende.
Einmal mehr haben wir etwas Unvergessliches erlebt. Wie immer an dieser Stelle noch einmal alle Beiträge zum Thema als Link und die Eindrücke des Tages in einer Galerie. Im nächsten Blog geht es etwas ernster zu – so viel kann ich an dieser Stelle schon einmal verraten. Auf uns wartet der „Highway of Tears“ und dieser trägt seinen Namen nicht ohne Grund. Zum ersten Mal auf unserer Reise wird das Glücksgefühl einer tiefen Traurigkeit weichen – aber auch diese Erlebnisse gehören auf einem Roadtrip dazu und auch sie machen eine solche Reise eben unvergesslich. Ich muss an dieser Stelle dazu sagen – ich arbeite hart daran, die Bilder bald auch auf flickr bereit zu stellen, damit sie in voller Auflösung erscheinen. Auf bald!
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